Interview mit Verena Osgyan zur Hochschulreform
Jeremia Funk, Mitglied unserer Einleger-Redaktion, hat mit der Sprecherin für Wissenschaft und Hochschulpolitik der Grünen Landtagsfraktion, Verena Osgyan, darüber gesprochen, wo die Probleme der geplanten Reform liegen und wie eine sinnvolle Reform aussehen könnte.
Was plant die Landesregierung mit ihrer Hochschulreform?
Man muss dazu sagen, dass es relativ klar war, dass das mittlerweile 16 Jahre alte Hochschulgesetz einmal neu gefasst werden muss. Vor 16 Jahren waren Themen wie Digitalisierung, Diversität und Nachhaltigkeit noch längst nicht so weit diskutiert wie heute und heute stellen wir andere Ansprüche an Hochschulen, wie z.B. internationaler zu sein. Es gibt also viele Gründe dafür, das Hochschulgesetz zu reformieren. Was jetzt allerdings auf dem Tisch liegt, hat mit dem, was wir alle erwartet haben und was in einem Hochschulgesetz stehen soll, wenig zu tun. Die Eckpunkte, die die Staatsregierung im Herbst herausgab, zeichnen ganz gravierende und schwer zu revidierende Umwälzungen des Hochschulsystems, wie wir es kennen, vor. In den ersten Entwürfen im Sommer mussten wir schon schlucken, als plötzlich die Rede davon war “Gremienhemmnisse” zu beseitigen, “unternehmerische Hochschulen” zu stärken und die Hochschulen zu “entfesseln”.
Es stand drin, dass die Gremienstruktur der Hochschulen nicht mehr vorgegeben sein soll und sie sich alle Gelder selbst geben müssen. Wenn aber Gremien sozusagen entmachtet werden, beschneidet das die Möglichkeit der Studierenden und auch der Lehrenden, sich zu organisieren und die Belange der Hochschulen z.B. über einen Senat mitzugestalten. Stattdessen sieht das Eckpunktepapier eine stärkere Rolle der Präsidien vor, die jetzt wie ein Unternehmen Top-Down durchregieren sollen. Unternehmerische Tätigkeiten auch aus Unternehmensgründungen wurden ganz nach oben gestellt. Diese Richtungsentscheidung weckt Ängste um die Wissenschaftsfreiheit bei den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die sind für Unternehmensgründungen ungeeignet und kommen deshalb nicht an diese Drittmittel, die jetzt in den Fokus rücken. Außerdem sollten Hochschulen nicht mehr Behörden des Freistaats sein, sondern eigenständige Körperschaften werden. Das gibt ihnen rechtlich mehr Möglichkeiten, aber auch mehr finanzielle Risiken. Angenommen sie spekulieren sich beim Bau oder die Unternehmensgründung haut eben doch nicht so hin, wie man dachte. Da stellt sich dann die Frage, wer das am Schluss bezahlt. Zu allerletzt sollten auch noch Studierende aus dem Nicht-EU Ausland wieder Studiengebühren zahlen.
Alles in allem wäre eine Umsetzung dieses Eckpunktepapiers ein ganz arger Paradigmenwechsel für unsere Hochschullandschaft gewesen. Gerade die Betonung dieser “unternehmerischen” Hochschule war für uns ein gedanklicher Rückschritt in die neoliberale Diskussion der Nullerjahre. Von dem Thema ist man in den anderen Bundesländern eher wieder abgerückt. Deshalb haben wir zusammen mit vielen anderen Widerstand gegen dieses sogenannte “Hochschulinnovationsgesetz”, das demnächst in den Landtag kommt, Widerstand organisiert und einen eigenen grünen Gesetzesentwurf erstellt. In diesem setzen wir auf stärkere Gremien, Diversität, Nachhaltigkeit und Innovation durch z.B. bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Es ist viel vom Wettbewerb mit ausländischen Universitäten die Rede. Sind bayerische Hochschulen wirklich so bedroht von der globalen Konkurrenz wie es die Landesregierung offenbar befürchtet?
Das ist ein großer Trugschluss. Zwar gibt es Hochschulen aus den USA und anderen Ländern, die in internationalen Rankings besser abschneiden. Wir sind da im Mittelfeld gut vertreten und einige unserer Hochschulen, wie die LMU, spielen sogar auch ganz vorne mit dabei. Worum es aber eigentlich geht, ist ob wir insgesamt wissenschaftlich und in unserer Rolle als Ausbildungsstätte für junge Generationen bestehen können. Geht man danach, haben wir in Bayern enorme Vorteile dadurch, dass ein Studium hier per se kostenfrei ist und wir ein breit aufgestelltes Hochschulsystem haben, das auch in Fläche große Qualität aufweist. Unterm Strich sind bayerische Hochschulen nicht nur beliebt auch bei international Studierenden, sondern auch das Ausbildungsniveau selbst und die Forschungsleistungen können sich durchaus messen.
Diese Stärken sollte man nicht verspielen, indem man das System unternehmerischer ausrichtet. Ein zu großer Fokus auf den Wettbewerb kann zu einem Klassensystem der Hochschulen führen. Dann hätten wir vielleicht zwei Exzellenz-Unis, einige mittelgroße und irgendwelche kleinen Hochschulen, die perspektivisch für die Region ausbilden, aber wissenschaftlich nicht mithalten können. Das wäre dann ähnlich wie in den USA, wo man an den Ivy-League-Universitäten nur mit Stipendium oder 60 000 $ Studiengebühren im Jahr studieren kann. Und studiert man an einer günstigeren unbekannteren Universität wie in Oklahoma, gilt der Abschluss nichts. Sozial gerecht ist das nicht. Diese Probleme haben wir dank unserem System in der Breite nicht. Auf diese Stärken sollten wir uns besinnen und nicht ständig irgendwo hingucken, wo im Prinzip auch nicht alles Gold ist, was glänzt.
Was sind Drittmittel im Hochschulbetrieb und was könnte sich in der Lehre ändern, wenn Hochschulen immer mehr von diesen Geldern abhängig sind?
Drittmittel sind alle Gelder, die den Hochschulen zusätzlich zu ihrer staatlichen Grundfinanzierung wegen entsprechenden Anträgen, Projektwettbewerben oder direkten Kooperationen mit Unternehmen zur Verfügung stehen. Das können staatliche Drittmittel von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) sein, die auch Gelder für Geistes- und Sozialwissenschaften vergeben, oder von der EU, wovon Horizon Europe ein großer Teil ist. Da geht es um Zukunftsthemen für Europa und deckt vieles im wirtschaftlich verwertbaren Bereich und Digitalisierung.
Drittmittel von Unternehmen, also private Drittmittel, sind aller meistens auf einen ganz bestimmten Zweck hin ausgerichtet. Da ist die TU München etwas in die Kritik geraten, weil sie sich von Lidl, also der Dieter Schwarz Stiftung, zwanzig BWL-Lehrstühle hat sponsern lassen. Das muss man sich mal vorstellen: Das sind die Hälfte aller BWL-Lehrstühle, die es dort gibt. Klar kommt dann ein Ungleichgewicht in der Ausrichtung der Lehre. Wobei solcher Einfluss nie so direkt ist, dass man es leicht von außen erkennen würde. Es wird eher Einfluss darauf genommen, in welchem Bereich überhaupt geforscht wird oder wo der Schwerpunkt liegt und welche anderen Bereiche dann wegen schlechterer Ausstattung vor sich hin mickern.
Das andere, was Drittmittel so schwierig macht, ist dass sie meistens an Anträge oder Projekte gebunden sind. Das führt dazu, dass der wissenschaftliche Mittelbau, also die Forschenden und Dozierenden, die noch keine Professur haben, meistens nur an Verträge über die Laufzeit des Projektes kommt. Das führt dazu, dass an bayerischen Hochschulen etwa 70% des wissenschaftlichen Personals befristet arbeiten. Wie soll man da für die Zukunft planen, wenn man über Jahrzehnte hinweg immer nur Verträge über zwei oder drei Jahre hat?
Drittmittel sind gut, wenn sie On-Top oben drauf kommen. Aber wenn Drittmittel an manchen Hochschulen in der Finanzierung 30-40% ausmachen, dann läuft da was gewaltig schief.
Seit Jahren fordert die Grüne Landtagsfraktion die Wiedereinführung der Studierendenschaft. Was ist so eine Studierendenschaft? Wieso gab es das schonmal in Bayern und wurde dann wieder abgeschafft?
Die Wiedereinführung der Studierendenschaft ist für uns ein Dauerbrenner, zu dem wir versuchen jede Legislaturperiode einen Gesetzesentwurf einzubringen. Es hat mittlerweile schon etwas von einem running gag, dass Bayern das letzte Bundesland ohne verfasste Studierendenschaft ist. Diese Studierendenschaften wurden in der Wiederaufbauzeit nach dem zweiten Weltkrieg als Teil der Demokratisierung der Gesellschaft von den Alliierten eingeführt. In Bayern gab es sie dann, bis die Studierendenschaften in 70er Jahren, nachdem sie mit recht CSU-kritischen Aussagen aufgefallen waren, von Franz Josef Strauß kurzerhand abgeschafft wurden. Seitdem hat man es nicht geschafft, die verfassten Studierendenschaften in Bayern wieder einzuführen. Heute sind die Argumente dagegen technokratischer, man meint das wäre dann eine Zwangsmitgliedschaft. Dabei ist das z.B. bei den IHK (Industrie- und Handelskammern) ähnlich. Diese erheben auch Beiträge für alle Gewerbetreibenden, ob sie wollen oder nicht. Das ist eigentlich ein ganz normales Verfahren.
Ohne verfasste Studierendenschaft, fehlt den Studierenden ein politisches Mandat. Sie müssen sich doch aber zu allem was hochschulpolitisch und auch allgemein politisch anliegt frei äußern können, das ist eine Frage der Demokratie. Sie können mit einer verfassten Studierendenschaft auch selbst ihre Finanzen verwalten und entsprechend auftreten, indem sie z.B. Geschäftsstellen unterhalten oder Beratungsstellen einrichten. Sie müssten nicht wegen jeder Ausgabe zur Hochschulverwaltung gehen. Bei uns in Erlangen und Nürnberg war auch das Semesterticket ein heiß umstrittenes Thema. Normalerweise hätten bei einer verfassten Studierendenschaft die Studierenden selbst mit Verkehrsverbünden verhandeln und den Vertrag abschließen können. Das war nicht möglich, weil sie selbst keine Rechtsform hatten und deshalb ein Umweg gewählt werden musste. Letztendlich haben die Studierendenwerke mit den Verkehrsverbünden verhandelt und die Studierenden mussten das Ergebnis dann in einer aufwendigen Ur-Abstimmung alle einzeln genehmigen. Das zeigt, welche komischen Verrenkungen man unternehmen muss, um die Studierenden ohne verfasste Studierendenschaft überhaupt etwas rechtsfähig abschließen lassen zu können. Das lässt sich eigentlich nicht rechtfertigen. Ich denke, dass der Widerstand gegen die verfasste Studierendenschaft bei der CSU immer noch ideologisch aus den 70ern kommt.
Welche Ideen hat die Grüne Landtagsfraktion noch, um bayerische Hochschulen zu verbessern?
Hochschulen sind für uns Grüne neben der Forschung und Lehre auch Orte, von denen der Transfer von Wissen in die Gesellschaft und wieder zurück ausgeht. Deshalb wollen wir Wissenschaftskommunikation, Wissenschaftsmanagement, Nachhaltigkeit, aber auch demokratische Prozesse an Hochschulen stärken, damit sie ihrer Rolle gerecht werden können.
Wir möchten, dass das Studium chancengerecht wird. Hochschulen müssen offene Orte sein, wo Diversität und Internationalität großgeschrieben wird und Frauen endlich besser repräsentiert werden. Wir haben knapp über 50% weibliche Studierende und nur 20% Professorinnen und das hat sich in den letzten 20-30 Jahren kaum verändert. Chancengerechtigkeit heißt auch, dass es mit uns keine Studiengebühren geben wird. Auch nicht für nicht-EU Ausländer*innen, auch nicht nachgelagert und die Gebühren für das Zweitstudium würden wir auch komplett abschaffen. Das trifft nicht nur auf große Zustimmung, aber da haben wir uns mittlerweile klar positioniert. Das Teilzeitstudium für Studierende mit Familie oder anderen Pflegeaufgaben soll einfacher werden.
Es braucht verlässlichere und strukturiertere Ausbildungswege durch verpflichtende Promotionsvereinbarungen zwischen Hochschullehrer*innen und Doktorand*innen. Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften möchten wir stärken, indem sie ein eigenes Promotionsrecht kriegen. Denn spätestens seit der Umstellung auf das Bachelor-Master-System, kann man nicht mehr sagen, dass Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Universitäten unterschiedliche Rollen hätten, was die Abschlüsse und Ausbildungen betrifft. Sie haben lediglich ein anderes Profil, aber brauchen ein eigenes Promotionsrecht, um international nicht als zweitklassig angesehen zu werden. Wir müssen die Grundfinanzierung stärken, um tatsächlich freie Forschung und Lehre zu ermöglichen, anstatt immer in teuren Programmen für winzige Ausschnitte der Wissenschaftslandschaft zu denken, wie es derzeit die Staatsregierung mit ihrer High-Tech Agenda tut.
Bei Drittmitteln wollen wir Transparenzklauseln und Transparenz-Register, damit klar ist wo die Gelder herkommen. Aktuell ist es so, dass selbst wir als Abgeordnete teilweise nicht erfahren, welche Drittmittelprojekte an Hochschulen durchgeführt werden, aus der Begründung heraus, dass das dann Unternehmensgeheimnisse berührt und beim Vertrag ausgeschlossen werden kann, dass überhaupt irgendwas davon an die Öffentlichkeit geht. Das kanns einfach nicht sein.
Beim Thema Nachhaltigkeit müssen wir dringend viel Geld in die Hand nehmen, um zuerst den Sanierungsstau von etwa 5,8 Milliarden Euro aufzuholen, damit wir dann überhaupt anfangen können über energetische Sanierung reden können, um bis 2030 klimaneutral zu sein.
Alles in allem ist viel zu tun und es ist ein ganz spannendes und auch sehr wichtiges Thema, wenn man bedenkt, dass ungefähr 10% des Haushalts des Freistaats Bayern in die Hochschulen gehen.
Was brennt Dir noch auf der Zunge, worüber wir noch nicht gesprochen haben?
Ich finde wir haben in der Corona Pandemie gelernt, wie wichtig massiv unterfinanzierte Professionen und Fächer wie Virologie, Epidemiologie und Biologie sind. Um die hat sich vor wenigen Jahren noch keiner geschert. Auch die Geistes- und Sozialwissenschaften, wenn es darum geht wie wir in der Pandemie Nachteile abgefedert bekommen und welche Arten der Kommunikation von Fakten und Wissenschaft und Erkenntnis wir brauchen, um Akzeptanz zu schaffen. Es hat sich gezeigt wie systemrelevant das alles ist und wie nötig ein offener Diskurs ist. Deswegen finde ich es auch so schade, dass die Staatsregierung – ich würde schon behaupten mit Fleiß – versucht hat, die Hochschulrechtsnovelle mitten in der Corona-Pandemie, wo sich die Öffentlichkeit nicht so herstellen lässt, still und heimlich durchzudrücken.
Vor ein zwei Jahren ist allen noch das Gesicht eingefroren, wenn wir ihnen erzählt haben, dass wir uns mit Hochschulrecht beschäftigen. Deshalb finde ich es auch so toll, dass sich jetzt so viele mit diesen Themen auseinandersetzen und ihr euch als Grüne Jugend dafür interessiert. Das zeigt in welcher Umbruchsituation wir sind. Wenn wir diese Chance nutzen, lässt sich da sehr viel Gutes bewirken und insgesamt unsere Gesellschaft ein Stück nach vorne bringen.
Danke für’s Lesen.
← zurück